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Hilfe, Gehilfe!

Der Websitebetreiber ist zwar nicht verantwortlich, aber verurteilt wird er trotzdem.
Über die Problematik der Gehilfenhaftung bei Rechtsverletzungen Dritter
in Diskussionsforen und Gästebüchern.

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Das LG Feldkirch hat vor kurzem entschieden (3 R 142/04m), dass ein Website-Betreiber, in dessen Gästebuch von einem Dritten eine Ehrenbeleidigung gepostet wird, von dem Beleidigten auf Unterlassung geklagt werden kann. In einem ähnlichen Fall mit einem Diskussionsforum hat das OLG Wien (18 Bs 20/02) schon früher gemeint, dass der Betreiber eines derartigen Forums Vorsorge treffen müsse, dass ehrenrührige Äußerungen ehestmöglich entfernt werden. Überforderten die eingelangten Beiträge die vorhandenen Mittel, so dürften derartige Foren nicht oder nur in eingeschränktem Maße angeboten werden. Zu erwähnen bleibt noch, dass derartige Prozesse aufgrund der hohen Streitwertbemessung meist sehr teuer sind und damit für einen kleinen privaten Website-Betreiber ruinös sein können.

Ein wesentlicher Aspekt des Internet ist der lockere Gedankenaustausch quer durch die ganze Welt. Wer aber kann in Österreich nach solchen Entscheidungen noch guten Gewissens Diskussionsforen oder Gästebücher anbieten, wenn er für jeden Furz, der dort abgelegt wird, persönlich verantwortlich gemacht wird. Oder besser gesagt, zwar nicht verantwortlich, aber zur Unterlassung und zur Bezahlung der Kosten der Unterlassungsklage verpflichtet. Derartige Foren blieben in Zukunft einigen Großanbietern vorbehalten, die sich entweder Aufpasser oder Rechtsanwälte oder beides leisten können. Nicht zuletzt müsste sogar die Richtervereinigung ihr Diskussionsforum, in dem auch gelegentlich die Emotionen überquellen, zusperren.

Diese Situation wirkt vor allem deswegen so absurd, weil bereits 2002 das E-Commerce-Gesetz in Kraft getreten ist, das für Diensteanbieter (darunter fallen nach der Definition des Diensteanbieters in § 3 sowohl typische Providerdienstleistungen als auch der Betrieb von Websites, Foren und Gästebüchern) ganz wesentliche Haftungserleichterungen bringen sollte. Insbesondere soll nach § 16 ECG ein Hostprovider nicht für gespeicherte fremde Inhalte haften, solange er davon keine Kenntnis hat. § 18 Abs. 1 ECG statuiert außerdem, dass diese Diensteanbieter nicht verpflichtet sind, die von ihnen gespeicherten, übermittelten oder zugänglich gemachten Informationen allgemein zu überwachen. Wie konnte es auf dieser, scheinbar eindeutigen Grundlage zu diesen Entscheidungen kommen?

Das Problem liegt im E-Commerce-Gesetz selbst. Nachdem das Gesetz Paragraph für Paragraph erklärt, wer unter welchen Umständen nicht verantwortlich ist, heißt es im § 19 Abs. 1 plötzlich, dass die §§ 13 bis 18 gesetzliche Vorschriften, nach denen ein Gericht oder eine Behörde dem Diensteanbieter die Unterlassung, Beseitigung oder Verhinderung einer Rechtsverletzung auftragen kann, unberührt lassen. Judikatur und Lehre legen das bisher so aus, dass die Haftungsbefreiungen für verschuldensunabhängige Unterlassungsansprüche (etwa nach § 14 UWG oder § 1330 ABGB) nicht gelten.

Die Schlüsse, die daraus in den zitierten Entscheidungen gezogen werden, nämlich, dass damit Unterlassungsansprüche jedenfalls zulässig sind oder das ECG überhaupt nicht anwendbar ist, sind aber vorschnell. Es müssen nämlich jedenfalls die allgemeinen Voraussetzungen vorliegen, dass jemand für die Handlung eines Dritten einzustehen hat. Nach ständiger Judikatur ist sowohl nach § 14 UWG als auch nach § 1330 ABGB Voraussetzung, dass der Gehilfe des Störers (derjenige, der zu einer Rechtsverletzung bsw. durch Verbreiten beiträgt) die Rechtsverletzung des Dritten bewusst fördert. Ein solches bewusstes Fördern scheidet jedenfalls aus, wenn der Dienstebanbieter die Rechtsverletzung gar nicht kennt. Es genügt nicht, dass der Diensteanbieter die Rechtsverletzung bei entsprechender Sorgfalt kennen müsste.

Regelt somit das E-Commerce-Gesetz, was den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch betrifft, eine Selbstverständlichkeit? Diese Frage lässt sich noch nicht mit Sicherheit beantworten. Es stellt sich nämlich die Frage, ob das ECG die Schwelle für Unterlassungsansprüche herabsetzen wollte, indem es bereits die Kenntnis genügen lässt, während ansonsten eine bewusste Förderung erforderlich ist. Angesichts des erklärten Zieles des ECG, die Situation der Diensteanbieter zu erleichtern, erscheint das zumindest widersprüchlich.

Denkbar wäre etwa ein Fall, dass der Betreiber eines Diskussionsforums eine Ehrenbeleidigung nicht löscht, aber ihr ausdrücklich widerspricht, etwa, weil er nicht in den Geruch der Zensur geraten will. § 16 ECG erklärt den Diensteanbieter hier scheinbar für verantwortlich, wenn er die inkriminierte Passage nicht unverzüglich entfernt. Dies würde bedeuten, dass der von der Rechtsverletzung Betroffene ab diesem Zeitpunkt auf Unterlassung klagen kann. Die Frage ist aber, ob der Umkehrschluss hier zulässig ist, d.h. ob der Diensteanbieter wirklich ohne Hinzutreten weiterer Tatbestandsmerkmale (wie bewusste Förderung) verantwortlich ist, wenn er den Inhalt kennt, oder ob das ECG nur ausdrücken wollte, dass er bei Nichtkenntnis auf keinen Fall verantwortlich ist, also auch verschuldensunabhängige Unterlassungsklagen nicht zulässig sind. Es ist zu hoffen, dass diese Frage im Interesse der Diensteanbieter bald geklärt wird.

Weiter geht die Haftungsbefreiung des ECG bei Schadenersatzansprüchen. Für einen Schadenersatzanspruch genügt normalerweise leichte Fahrlässigkeit und eine solche könnte auch in der Unterlassung der Überwachung erblickt werden. § 18 Abs. 1 ECG entbindet aber den Diensteanbieter von einer allgemeinen Überwachungspflicht. Aber auch wenn er die inkriminierte Stelle kennt, etwa weil er vom Verletzten darauf hingewiesen wurde oder weil er die Diskussion mitverfolgt, wird er nicht sofort schadenersatzpflichtig, wenn er die Information nicht löscht. Da in vielen Fällen für einen juristischen Laien schwer beurteilbar ist, ob ein Sachverhalt rechtswidrig ist, fordert § 16 ECG zusätzlich als Voraussetzung eines Schadenersatzanspruches, dass der Rechtsverstoß offenkundig sein muss.

Für den Betreiber eines Diskussionsforums oder Gästebuches bedeutet das: Er muss weder eine Unterlassungsklage noch eine Schadenersatzklage fürchten, wenn er von der Rechtsverletzung keine Kenntnis hat und er muss keine Kenntnis haben, weil er nicht zur Überprüfung verpflichtet ist (Änderungen könnten sich hier allerdings durch die kommende Mediengesetznovelle ergeben). Sobald er aber Kenntnis hat, gleich woher, sollte er die problematische Information entfernen, um sich nicht Unterlassungsansprüchen auszusetzen, wenn auch die bloße Kenntnis in der Regel noch keine bewusste Förderung darstellt; hier kommt es aber sehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Schadenersatzansprüche muss er nur dann fürchten, wenn die Rechtswidrigkeit der Information für einen juristischen Laien offenkundig ist und er sie nicht nach Kenntnis entfernt.

In Österreich hat das OLG Wien bereits in einer neueren Entscheidung (4 R 186/03g) einen Unterlassungsanspruch verneint, in Deutschland gibt es 2 BGH-Entscheidungen (bei im wesentlichen gleicher Rechtslage (gleiche EU-Richtlinie). Der OGH hat sich bisher nur mit contentprovidern beschäftigt. Sogar bei diesen hat er aber in einem Fall (6 Ob 218/03g) eine Prüfpflicht verneint, obwohl es dort um eigene Inhalte geht. Man darf daher darauf hoffen, dass der OGH auch für die Gästebuch- und Diskussionsforenbetreiber wieder Entwarnung geben wird.

Was die Art des Providers, nach der sich die Verantwortlichkeit richtet, betrifft, so ist die Lage relativ eindeutig: Ein contentprovider bringt eigene Inhalte, ein Host-Provider stellt Speicherplatz für fremde Inhalte zur Verfügung. Das Gästebuch ist zwar nicht der typische Fall eines Hostproviders, aber auch hier geht es darum, dass die Informationen von einem Dritten stammen, der dem Betreiber des Forums nicht untersteht.

Die Angst, dass man bei einer Einschränkung der Haftung des Foren- und Gästebuchbetreibers Querulanten im Internet schutzlos ausgeliefert ist, ist im übrigen unbegründet. Der Unterlassungsanspruch besteht, sobald der Diensteanbieter auf die Rechtsverletzung deutlich hingewiesen wurde; es bedarf also nur einer vorherigen Aufforderung (das beugt dem Abmahnwesen vor). Für eine Aufforderung bedarf es keines Anwaltes, sie sollte aber genau die Art der Rechtsverletzung und die Fundstelle bezeichnen, damit der Diensteanbieter die behauptete Rechtsverletzung überprüfen kann. In heiklen Fällen, die möglicherweise ein prozessuales Nachspiel haben, empfiehlt sich eine nachweisliche Aufforderung.

Zusammenfassend sollte also die Devise lauten: Gehilfe, hilf mir (und beseitige die Rechtsverletzung)!
Nicht notwendig sein sollte der Hilfeschrei: Hilfe, ich werde als Gehilfe in Anspruch genommen!

Daneben sieht § 18 Abs. 4 gegenüber dem Hostprovider auch ein erleichtertes Auskunftsrecht vor, sodass man auch gegen den tatsächlichen Übeltäter vorgehen kann. Auch dieses Auskunftsrecht erfordert eine genaue Schilderung des Sachverhaltes, damit der Diensteanbieter das "überwiegende rechtliche Interesse" an der Bekanntgabe der Daten prüfen kann. Möglicherweise sind die Daten, die der Gästebuchbetreiber über seine Gäste hat, auch nicht sehr aussagekräftig. Versteckt sich nämlich hinter einem Pseudonym nur eine nackte IP-Adresse, die, weil dynamisch vergeben, wiederum nur von einem weiteren Diensteanbieter, nämlich dem Accessprovider des Gastes, entschlüsselt werden kann, führt der Weg zur Ausforschung des Täters nicht am Gericht vorbei; Datenschutz und Fernmeldegeheimnis verbieten hier eine einfache Offenlegung des Internetteilnehmers. Aber das ist wieder ein anderes Thema.

Siehe auch:

28.6.2004 (Ergänzungen 2.7.2004)

Franz Schmidbauer

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